Mobbingopfer, Täter & Schule

Die Beteiligten und ihre Motivation:

Mobbingopfer
Täter & Mitläufer
Schule & Lehrer

Um Mobbing in der Schule wirksam zu begegnen, muss man die die Motivationen der anderen am Mobbing Beteiligten im Auge behalten:
  • Warum wird gerade Ihr Kind zum Mobbingopfer?
  • Was motiviert Täter und Mitläufer?
  • Welche Interessen verfolgen Schule und Lehrer?
Die Antworten hierauf finden Sie nachfolgend:

Die Mobbingopfer

1. Die „typischen“ Mobbingopfer

Fragt man nach dem typischen Mobbingopfer, so denken die meisten an Schüler mit wenig Selbstbewusstsein, oder solche, die in irgendeiner Form benachteiligt (Aussehen, soziale Herkunft, Alter) sind und deshalb nicht akzeptiert werden.

Das sind die Fälle, die meist auch in der Literatur (bspw. „Die Verwirrungen des Zöglings Törless“) oder in üblichen Fernseh-Reportagen beschrieben werden.

Fakt ist, dass diese Gruppe tatsächlich nach wie vor sehr häufig zu den Mobbingopfern gehört: Es reicht mitunter ja tatsächlich schon aus, nicht die richtige Kleidung zu tragen, einen körperlichen Makel zu haben oder einfach sensibel und ruhig zu sein, um zum Außenseiter zu werden. Und von dort ist es dann eben oftmals kein weiter Weg mehr von der Ausgrenzung bis zur direkten Konfrontation.

Mitunter erhalten diese Schüler auch das „Angebot“ vom Mobbingopfer zum Mitläufer „aufzusteigen“, wenn sie sich der Mobbinggruppe unterwerfen und gleichzeitig an Mobbing gegenüber jemand anderem beteiligen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es darum geht, einem anderen Mobbingopfer die Rückzugsmöglichkeiten zu nehmen.

Diese Übergänge sind dann fließend, zumal die „Unterwerfung“ in die Mobbinggruppe als Mitläufer keineswegs Sicherheit vor weiterem Mobbing bietet:
  • Innerhalb der Mobbinggruppe bleiben diese Schüler nämlich die schwächsten Glieder und stehen in der Hierarchie ganz unten. Dementsprechend müssen sich nach wie vor allerlei anhören, Dienste verrichten usw. Aber zumindest besteht „Schutz“ gegenüber Personen außerhalb der Gruppe.
  • Und dem Aufstieg kann natürlich auch jederzeit wieder der Abstieg folgen, wenn die Mobbinggruppe ihr Ziel erreicht hat: Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die „Integration“ des Mobbingopfers nur dem Ziel diente, einen anderen Schüler, den man ebenfalls mobbt, zu isolieren. Resigniert dieser gegenüber den Mobbern oder wechselt dieser gar die Schule, dann braucht man ja wieder ein neues Mobbingopfer…
Kurzum: Die Gruppe der typischen Mobbingopfer ist regelmäßig gut beraten, sich nicht mit der Gruppe der Mobber zu arrangieren. Mal ganz davon abgesehen, dass auch das typische Mobbingopfer als Mitläufer natürlich Schuld auf sich lädt, ist dies regelmäßig keine wirkliche und erst recht keine dauerhafte Lösung, weil man im Grunde Opfer bleibt und sich nur die Intensität des Mobbings zeitweise etwas abschwächt. Eine Lösung ist erfahrungsgemäß damit nicht verbunden.

2. Die eigentlich „untypischen“ Mobbingopfer:

Die Entwicklung geht ohnehin in eine ganz neue Richtung, denn neuerdings werden immer mehr Schüler zu Mobbingopfern, die eigentlich gar nicht als typische Mobbingopfer gelten dürften.

Es geht heute vielfach in Schulen darum, Statuskämpfe auszutragen, viele Schüler geben unumwunden zu, dass dies die Hauptmotivation (!) ihres Schulbesuchs ist.

Denkt man dabei an soziale Randgruppen in Brennpunktschulen, die ohnehin keine Perspektive für ihr Leben sehen und deshalb Aggressionen in Schulen ausleben, so liegt man inzwischen nur partiell richtig.

Ein relevanter Anteil von Mobbing kommt inzwischen nämlich direkt aus der gesellschaftlichen Mitte, aus „Langeweile“ oder weil man von seinem Elternhaus mitbekommen hat, dass man „Ellenbogen“ benötigt, um gut durch das Leben zu kommen. Hier hat sich ein Kreislauf aufgetan, der eigentlich Anlass zu größter Sorge gebieten sollte. Denn die Familien, die mitbekommen, dass Kinder „Ellenbogen“ einsetzen und andere Kinder unter Druck setzen, „schützen“ ihre eigenen Kinder mitunter dadurch, dass sie diese ermutigen, selbst Ellenbogen einzusetzen oder sich solchen Gruppen anzuschließen, damit sie nicht selbst in den Fokus von Mobbern geraten.

Wie dem auch sei, sind zusehends solche Kinder für Mobber „interessant“, die keineswegs zu den typischen Mobbingopfern gehören, sondern selbstbewusst durchs Leben gehen, anerkannt sind – sich aber nicht den Mobbern unterordnen.

Der einzige „Schwachpunkt“ dieser Schüler ist, dass sie nicht selbst Gruppenanführer sind, sondern sich einfach nur innerhalb der Klasse gut integrieren. Fehlt aber der Rückhalt einer „eigenen Gruppe“, so ist man per se gefährdet. Dies ist heutzutage tatsächlich ein großes Problem, wenn es innerhalb einer Klasse „Gruppen“ gibt (die dann meist auch Mobbinggruppen sind) und man sich aber keiner dieser Gruppe anschließen will, weil man eben keine hierarchische Unterordnung möchte.

Umgekehrt beginnt die Motivationslage der Mobber an derselben Stelle: Meist ist es das Ziel, alles und jeden unter Kontrolle zu bekommen – allenfalls werden noch andere „Gruppen“ in der Klasse respektiert, weil man an diese eben nicht herankommt. Zielobjekte sind dann die Schüler, die sich in keine Gruppenhierarchie einordnen wollen und das sind meist die selbstbewussten Schüler.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der bei dieser Gelegenheit Relevanz erlangt: Der Statusgewinn einer Mobbingattacke ist natürlich wesentlich höher, wenn es gelingt, einen Mitschüler „zu brechen“, der selbstbewusst und keineswegs unbeliebt erscheint.

Schüler, die selbstbewusst und eigentlich auch beliebt sind, werden dann oftmals „kalt erwischt“, weil sie dies gar nicht erwarten:

Es ist ja auch nicht so, dass in jeder Klasse solche Gruppen existieren. Oftmals sind diese Schüler in der Vergangenheit als Klassensprecher und Vermittler bei Konflikten sogar in exponierten Stellen hervorgetreten und verstehen gar nicht, woher plötzlich die Anfeindungen kommen. Noch weniger verstehen sie, wenn plötzlich die ganze Mobbingmaschinerie in Bewegung gesetzt wird und sie zusehends in der Klasse isoliert werden. 

Die Entwicklung geht demnach in eine Richtung, dass zumindest in solchen Klassen, in denen Mobbinggruppen bestehen, es immer weniger Schüler gibt, die sich hiervon distanzieren können. Gab es früher noch viele vereinzelte Freundschaften, greifen die Mobbinggruppen in einem ersten Schritt auf die schwächeren Glieder zu und versuchen sie als Mitläufer in ihre Gruppe zu integrieren. Diese Schüler pflegen dann oftmals parallel ihre Zugehörigkeit zur neuen Gruppe und die alten Freundschaften. In einem zweiten Schritt werden diese dann gekappt, indem diejenigen Schüler, die außerhalb der Mobbinggruppe verbleiben, angegriffen werden. Die geschieht dann durch obengenannte Instrumentarien wie den direkten Angriff aber auch der Isolation von Mitschülern. 

Interessant hierzu ist einer der wenigen Presseberichte zu diesem Themenbereich von Jürgen Kaube in der FAZ vom 04.05.2014, in dem meine Erfahrungen bestätigt werden. Hier wird auf Untersuchungen in den USA hingewiesen, wo man auf dieses Thema offenbar bereits aufmerksam wurde, während die deutsche „Bildungsliteratur“ nach wie vor bei den üblichen Fällen zu verharren scheint.

Wer sind die Mobber?
Und was sind Ihre Motive?

Bei den Mobbern ist die Einteilung nicht so ganz einfach: Man muss zwischen denen unterscheiden, die das Mobbing initiieren und denen, die sich daran beteiligen. Gerade bei den Mitläufern gibt es durchaus auch einige Schüler, die eigentlich selbst gemobbt werden.

Im Einzelnen:

1. Die eigentlichen Täter:

Originäre Mobbingtäter sind meist solche Schüler, die als Anführer von Gruppen agieren. Es sind solche Personen, die es gewohnt sind, ihre Ellenbogen einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen und ihr soziales Umfeld dementsprechend hierarchisch gestalten.

Das ist erst einmal für sich genommen kein Problem, denn Gruppen wird es immer geben. Und selbst eine hierarchische Ordnung in Gruppen ist für sich genommen nicht ungewöhnlich, da es spiegelbildlich auch viele Schüler gibt, die sich in Gruppen sicher fühlen und einen Mitschüler zum aufschauen benötigen. Sagt der Chef „spring“ und fragt der andere „wie hoch“, dann ist das sicher nicht wünschenswert, da in einer freien Welt jeder wissen sollte, was er tut, aber es schädigt erst einmal niemanden, wenn beide damit leben können.

Problematisch wird es immer dann, wenn aus diesen Gruppen heraus auf Dritte zugegriffen wird. Die Ursachen hierfür sind oftmals banal und werden offen zugegeben:
  • Ein weitverbreitetes Motiv ist, dass Kinder in Schulen überfordert sind und sich dann „neue Ziele des Schulbesuchs“ setzen, die mit dem eigentlichen Zweck (etwas zu lernen) nichts mehr gemein haben. Dies besteht dann oftmals darin, dass man Konflikte sucht, um den eigenen Frust loszuwerden. Andere zu demütigen ersetzt dann die Unzufriedenheit mit sich selbst.
  • Ein anderes Phänomen ist ein immer stärker auftretender Hang zur „Ellenbogenmentalität“; Viele Familien sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder und legen einen Schwerpunkt der Erziehung darauf, dass die Kinder durchsetzungsfähig werden. Dies kann dann schnell zu einer übersteigerten Form führen und die Kinder finden plötzlich „Spaß“ daran, andere Kinder zu ärgern. Es ist auffällig, dass Begriffe wie „demütigen“ oder „Opfer“ heutzutage bereits im Grundschulbereich weitverbreitet sind. Dies alles wird bagatellisiert und scheint gar nicht mehr schlimm zu sein…
Und außerhalb der Schule hört man immer wieder von „Langeweile“: Die zunehmende Tendenz, dass Kinder vor allem über elektronische Medien Kontakte erzeugen und pflegen führt dazu, dass man sich eigentlich langweilt und gleichzeitig die technischen Möglichkeiten hat, es auf Kosten Dritter doch wieder „spannend“ zu machen. Statt „Hi“ – „WMD“ usw. wird dann gehetzt oder direkt angegriffen und geschaut, was passiert, was dann in etwa so spannend wie eine Sportübertragung zu sein scheint…

Und wenn das nicht ausreicht, dann gibt es immer noch althergebrachte Motive wie Neid und Missgunst… Wer gut in etwas ist, hat heutzutage schnell mehr „Hater“ als „Fans“…

So kommt es dazu, dass Mobber auf Schwächeren herumtrampeln, sich mitunter aber auch selbstbewusste und beliebte Schüler als zu zerstörenden Gegner aussuchen und gleichzeitig auch außerhalb der Schule das Ganze nicht beendet wird.

Eine interessante Komponente dabei ist, dass Mobbingtäter neuerdings immer häufiger eine Art zwanghaftes Verhalten mit „Stalking-Tendenzen“ an den Tag legen:
  • Es ist immer häufiger zu beobachten, dass die Mobber im Vorfeld nämlich erst einmal freundlich an bestimmte Mitschüler herantreten, die sie eigentlich interessant finden und mit denen sie befreundet sein möchten. Dies geschieht in der Form, dass der Mobber diese Schüler in seine Gruppe integrieren möchte. Reagieren die Mitschüler hierauf ablehnend (meistens weil sie sich nicht der Gruppenhierarchie unterwerfen möchten oder das bereits bekannte Mobbingverhalten der Gruppe unsympathisch finden), dann reagieren die Mobber auf dieses Frusterlebnis mit einer Mischung aus Mobbingverhalten und „Angeboten“ es sich doch noch zu überlegen.
  • Es wird dann rasch zu einer fixen Idee, den Schüler entweder einzugliedern oder zu zerstören.

2. Die Mitläufer:

Zunächst gibt es natürlich die „Mitläufer aus Überzeugung“: Diese Schüler initiieren Mobbing zwar meist nicht selbst und wenn der „Chef“ mal krank ist, mag es vergleichsweise ruhig zu gehen – aber sie machen im Zweifel mit und sind damit eigentlich auch Mobber.

Zudem gibt es aber auch immer mehr „Mitläufer aus Angst“: Hierbei handelt es sich um Schüler, die selbst Angst haben, in den Fokus zu geraten, wenn sie sich nicht positionieren. Man sollte dies keineswegs unterschätzen, weil inzwischen zahlreiche Schüler mit Angst in die Schule gehen, weil sie den sozialen Auseinandersetzungen nicht mehr gewachsen sind. Und selbst diejenigen, die wegschauen oder sich nicht einmischen, können mitunter in den Fokus geraten, weil die Gruppe eine eindeutige Positionierung bzw. mitmachen fordert. Nicht selten werden neutrale Schüler automatisch dem Mobbingopfer zugeordnet und gemeinsam verächtlich gemacht: „Der X hat dem Y seinen Stift gegeben. Jetzt hat er auch die Grätze…“ 

Entsprechend hierzu verlaufen die Formen der Beiträge fließend:
  • Diejenigen, die das Mobbing billigen, werden sich besonders häufig selbst am Mobbing beteiligen, d.h. sie initiieren es zwar nicht, aber stehen meist nicht nur daneben, sondern beteiligen sich aktiv. Die „Sicherheit“ innerhalb der Gruppe und ein „Gruppenrausch“ lassen bestehende Hemmungen rasch fallen, so dass viele Familien durchaus überrascht sind, wenn sie Schilderungen aus der Schule hören, weil sie ihr Kind „so“ gar nicht kennen. Und gerade durch das Cybermobbing geschieht es heutzutage noch wesentlich einfacher und auch schneller, Grenzen zu überschreiten, da es eine noch niedrigere Hemmschwelle darstellt, etwas zu schreiben, als dies auszusprechen.
  • Andererseits gibt es aber natürlich auch weitgehend schweigsame Mitläufer, die einfach nur dabeistehen und „psychische Beihilfe“ leisten, indem Sie den oder die Täter hierdurch ermutigen. Dies werden vorwiegend Schüler mit Angst sein.
Aufgrund der erheblichen Eigendynamik von Mobbing werden mir aber durchaus auch häufig Fälle berichtet, bei denen sich die Grenzen verschieben.

3. Ehemalige Mobbingopfer als zeitweise Mitläufer:

Eine weitere Gruppe der Mitläufer stellt die Gruppe der Schüler dar, die eigentlich selbst Mobbingopfer sind. 

Gerade in den Fällen, bei denen es gegen selbstbewusste Schüler geht, bekommen diese Schüler plötzlich „angeboten“, sich mit den Mobbern so solidarisieren, mitunter werden sie sogar temporär integriert, um das neue Zielobjekt innerhalb der Klasse zu isolieren, ihm zu zeigen, dass nicht einmal der übliche „Prügelknabe“ mehr zu ihm hält.

Diese Tendenz ist neuerdings auch immer häufiger erkennbar, da es ja immer mehr darum geht, Rangkämpfe nicht mehr „1 gegen 1“, sondern im Wege des Mobbings auszutragen.

Diese ehemaligen Mobbingopfer werden natürlich im Falle des Erfolgs rasch wieder selbst zu Mobbingopfern.

Und was macht die Schule?
Ein typischer Mobbingfall…

Ein Phänomen bei Mobbing ist, dass es dieses offiziell gar nicht zu geben scheint. Es gibt zwar Berichte über Mobbing – diese sind aber meist abstrakt gehalten. Und wenn man danach fragt, dann heißt es meist, dass es hier „so etwas nicht gibt“ oder „so etwas nicht geduldet wird“ und wenn so etwas mal auftritt, dann bekommt man es natürlich „in den Griff“.

Entsprechend verlaufen Gespräche mit Schulen, in denen Mobbing geschildert wird, auch regelmäßig nach demselben Schema und wenn man nicht am Ball bleibt, geht das Ganze mit sehr großer Sicherheit nach hinten los.

Eine „typische Mobbingabfolge“ kann dann so in etwa aussehen:

Erste Stufe - Verständnis und Versprechen:

Die erste Reaktion ist eigentlich meist sogar Verständnis. 

Warum auch nicht? Schließlich gibt es sicher wenig Menschen, die Mobbing per se für gut befinden.

Die Eltern sind dann erst einmal erleichtert einen vermeintlich verständnisvollen Ansprechpartner gefunden zu haben, die Lehrer versprechen, es „zu klären“ und damit scheint das Thema auch erst einmal vom Tisch…

Zweite Stufe - Erkenntnis, dass man die Dinge nicht in den Griff bekommt bzw. bekommen will, weil man selbst Angst hat:

Die nächste Stufe ist meist ernüchternd: 

Der Lehrer mag mit den Mobbern gesprochen haben, die dies selbstverständlich leugnen und die Schuld dem Mobbingopfer zuschieben:
  • Das Mobbingopfer verhalte sich blöd, habe keine Freunde, alle fänden es blöd.
  • Das Mobbingopfer fange stets Streit an, provoziere.
  • Das Mobbingopfer habe einen der Mitschüler angegriffen, die anderen hätten ihm nur geholfen
Im Grunde ist nichts zu blöd, als dass es nicht vorgebracht wird.

An dieser Stelle wäre es eigentlich geboten, die Glaubwürdigkeit der Aussagen nachhaltig zu hinterfragen, denn jedes dieser „Argumente“ erscheint absurd:
  • Natürlich hat jemand, der gemobbt wird, schlussendlich keine Freunde mehr. Aber rein „quantitatives Abzählen“ ist ja bei diesen Fällen kein Argument, sondern logische Folge des Mobbings. Wer isoliert ist, wird immer wenig bis gar keine Fürsprecher haben und es ist ein menschlicher Zug, Fehler nicht bei sich, sondern anderen zu suchen.
  • Und natürlich erscheint es auf den ersten Blick beachtlich, wenn 5 Schüler dasselbe berichten: Wenn dies allerdings derart geschieht, indem man 5 Schüler vor sich versammelt, einer redet, die anderen nicken, dann ist das aber natürlich nichts, was man per se glauben muss. Es ist zudem sehr unwahrscheinlich, dass ein einzelner Schüler von sich aus (!) mit einer ganzen Gruppe Streit anfängt…
  • Und natürlich scheint dann auch der angebliche Übergriff gut in das Gesamtbild zu passen: Erst provoziert der Schüler eine ganze Gruppe und dann greift er auch noch an… Ich habe Fälle erlebt, bei denen das Mobbingopfer nicht einmal mit einem einzigen der Schüler der Gruppe alleine fertig geworden wären und trotzdem hat man allen Ernstes behauptet, er hätte gleich die ganze Gruppe angegriffen… Aber an dieser Stelle sollte doch spätestens eine Plausibilitätsüberprüfung erfolgen.
Leider wird in den Schulen ungeachtet dessen gerne abgezählt und alles Mögliche geglaubt, egal wie sehr dies gesundem Menschenverstand widerspricht… Und sind an dieser Stelle nicht bereits die „Ermittlungen“ abgeschlossen, so bleibt zumindest immer etwas an dem Mobbingopfer hängen…

Nicht besser gelingen meist die Fälle, die vor der versammelten Klasse besprochen werden: Mal ganz davon abgesehen, dass man dies als pädagogisch durchaus fragwürdig erachten kann, da es dem Mobbingopfer kaum angenehm sein wird, zum Thema gemacht zu werden, beinhalten gerade solche „Foren“ völlig unkontrollierbare Entwicklungen:
  • Was soll denn das Mobbingopfer sagen, wenn sich ständig jemand meldet, der die Sachen verdreht? Das Mobbingopfer hat ja keine Fürsprecher und die Mobber werden kaum differenziert berichten… 
  • Mal ganz abgesehen von dem erheblichen Risiko eines solchen Vorgehens, denn das, was als Ergebnis übrigbleibt, wird meist auch ewig so stehen bleiben und das können die Mobber dann als Sieg verbuchen…
Fragt man sich nach alledem nach der Motivation von Schulen, warum meist schon in diesem Stadium die Angelegenheit gegen die Wand läuft, so wird es vor allem zwei Gründe geben:

Zum einen ist es natürlich wirklich sehr schwierig, Dinge aufzuklären: 
  • Gibt es unterschiedliche Darstellungen, wird ein Sachverhalt rasch komplex. So etwas dann aufzuklären, ist keineswegs einfach, zumal bei den meisten Sachverhalten eben auch kein Lehrer zugegen war. Man müsste dann im Grunde jeden Schüler einzeln befragen und auch einmal kritische Fragen stellen.
  • Zugleich zeigt sich, dass gerade bei den Mobbern ein erhebliches Selbstverständnis zur Lüge vorherrscht. In der Gruppe fühlt man sich sicher, es kann sowieso nichts passieren. Im Grunde müsste man sich die schwächsten Glieder der Mobbergruppe „zur Brust nehmen“ und dort versuchen, an die Informationen zu gelangen. Nur diese haben ja mitunter selbst Angst und lügen dann lieber den Lehrer an, als selbst schlecht vor der Gruppe dazustehen.
  • Dies alles rechtfertigt andererseits aber nicht, wie schnell in der Praxis „aufgegeben wird“ bzw. mitunter konkrete Hinweise durch Eltern übergangen werden. Nicht selten enden die Ermittlungen mit der Befragung der Mobber, während es viel zielfördernder gewesen wäre, stattdessen einige neutrale Schüler zu befragen, die vielleicht auch etwas mitbekommen haben…
Zum anderen ist es oftmals schlichtweg einfach so, dass Lehrer selbst Angst haben:
  • Wer Schüler mobbt, der ist regelmäßig auch in der Lage, den Lehrer zu mobben. Gerade Lehrer ohne Durchsetzungsvermögen neigen dazu, sich bei den Mobbern beliebt zu machen, weil sie selbst Angst vor ihnen haben. 
  • Darüber hinaus haben mobbende Kinder häufig Eltern, die durch „Seilschaften“ selbst fest organisiert sind, mitunter entsprechen die Verbindungen weitgehend der Mobbinggruppe. Und ausgerechnet die Eltern mobbender Kinder sind häufig in den Schulen aktiv – als „Begleitperson“ für Ausflüge, mitunter sogar als Elternvertreter. 
  • Und dann gibt es natürlich noch die Gruppe der Eltern, an die Schulen „nicht herankommen“ – und wenn doch einmal, dann wirken diese mitunter nicht nur bedrohlich, sondern sind dies vermutlich auch…
Bevor man sich also mit einer Vielzahl solcher Eltern anlegt oder am Ende selbst bedroht wird, erscheint es mitunter opportuner, der Angelegenheit nicht weiter auf den Grund zu gehen.

Dies ist besonders problematisch, weil dann im Kollegium erst recht der Eindruck entsteht, als sei an der Sache nichts dran, wenn selbst ein Lehrer umschwenkt. Insofern entwickelt sich rasch eine Eigendynamik. 

Dritte Stufe - Leugnen des Mobbings:

Die nächste Stufe ist dann die des Leugnens: Man hat ermittelt, nichts gefunden, selbst Lehrerkollegen wollen nichts bemerkt haben – es ist also quasi amtlich, dass nichts passiert ist.

An dieser Stelle möchte ich nochmals hervorheben, dass gerade in weiterführenden Schulen natürlich auch wirklich nicht jeder Lehrer alles Mögliche mitbekommt und Mobbing findet ja auch nicht immer öffentlich statt: Der Gang zur Sporthalle, zum anderen Klassenzimmer, die Pause, der Weg zum Bus usw. bieten zahlreiche Möglichkeiten und reicht dies nicht aus, so gibt es ja immer noch das Internet…

Andererseits wird ein halbwegs erfahrener Lehrer durchaus auch in der Lage sein, die Schwingungen innerhalb der Klasse zu interpretieren, wenn Mitschüler ausgelacht werden, bei Gruppenarbeiten Mitschüler ausgegrenzt werden usw. Und gerade Sportlehrer bekommen sicher ganz viel mit, da ein großer Teil von Mobbing in der Sportstunde stattfindet, wenn Schüler „nicht gewählt werden“ (obwohl sie eigentlich gut sind), keinen Ball abgespielt bekommen (obwohl sie freistehen), hart gefoult werden, „aus Versehen“ einen Ball abbekommen usw. Dies wird allerdings in der Praxis tatsächlich gerne „übersehen“ und nicht selten sind gerade die Lehrer am problematischsten, die es mitbekommen…

Man hat also nichts ermitteln können, dann „beobachtet“ man das Ganze eben. Die Eltern sollen „Vertrauen“ haben.
An dieser Stelle kommt meist zu den ersten negativen Spannungen zwischen Schule und Eltern: Die Eltern verlieren das Vertrauen und verstehen nicht, warum die Dinge geleugnet werden. In einem typischen Reflex wird dann darauf hingewiesen, dass Lehrer die Aufsichtspflicht haben und weitere Übergriffe vermeiden sollen.

Dies führt spiegelbildlich meist dazu, dass bei dem Lehrer endgültig die Rollläden heruntergehen: Er ist wütend, weil nichts dabei herausgekommen ist und steht jetzt plötzlich persönlich in der Bedrängnis.

Im Ergebnis sind dies alles menschliche Reaktionen:
  • Da die Eltern nicht an die Mobber herankommen und die Aufklärung der Schule nicht funktionierte, wird derjenige Adressat der Enttäuschung und Vorwürfen, der Ansprechpartner war und Versprechungen gemacht hat, die jetzt nicht eintreffen.
  • Umgekehrt sehen die beteiligten Lehrer die Eltern als Hauptproblem: Vielleicht glauben sie nach wie vor den Darstellungen der Eltern, sind ärgerlich, weil sie die Situation nicht in den Griff bekommen haben und jetzt schon wieder neue Darstellungen kommen. Sie sehen sich plötzlich selbst im Fokus und wehren sich (aus ihrer Sicht nachvollziehbar) entsprechend.
Aus dem Miteinander wird damit rasch ein Gegeneinander…

Vierte Stufe - der gemobbte Schüler ist das eigentliche Problem:

Doch es kommt noch schlimmer, denn die nächste Stufe ist der Gegenangriff: Der gemobbte Schüler sei das eigentliche Problem…

Die Mobber behaupten kurzerhand Sachverhalte, die das Ganze auf den Kopf stellen: Nicht selten wird der Einfachheit halber einfach umgedreht, was wirklich passiert ist:
  • Das Mobbingopfer habe einen Stift geklaut oder „absichtlich“ ein Blatt umgeknickt.
  • Das Mobbingopfer grüße nicht und verhalte sich beleidigend.
  •  Das Mobbingopfer habe sich nicht im Griff, habe „ohne Grund“ ein Schimpfwort gesagt oder geschubst.
  • Usw.
Und da man sich im Stadium des Leugnens gerade an das „Abzählen“ gewöhnt hat und das Verhältnis zu den Eltern des Mobbingopfers neuerdings angespannt ist, steht es dann auch schnell fest.

Und das ernste Gespräch, das man sich mitunter gegenüber den beteiligten Schülern oder deren Eltern gewünscht hatte, wird plötzlich mit den Eltern des gemobbten Schülers selbst geführt.

Dies führt zum endgültigen Zerwürfnis.

Fünfte Stufe - die Reihen werden geschlossen…

Im letzten Stadium geht es eigentlich nur noch darum, das „Problem“ (also das Mobbingopfer) „loszuwerden“. Hierfür ist erforderlich, dass das Mobbingopfer die Schule möglichst verlässt, damit endlich wieder Ruhe einkehrt.

Im Normalfall werden in diesem Stadium die Familien des Mobbingopfers derart zermürbt sein, so dass sie „freiwillig“ gehen…

Sofern dies überhaupt noch möglich ist, denn mitunter ziehen die Darstellungen des Mobbingopfers bereits Kreise: Nichts verbreitet sich derart schnell, wie Gerüchte aus Schulen, denn Lehrer gehören auch zu den Berufsträgern, die privat vergleichsweise viel mit Kollegen zu tun haben – natürlich auch an anderen Schulen. Insofern eilt ein – unzutreffender - „Ruf“ dem Mobbingopfer oftmals bereits voraus und es wird schwer, eine Schule zur Aufnahme zu bewegen. Und selbst wenn dies nicht der Fall ist, so ist es aus meiner Erfahrung keineswegs so, dass Schulen Mobbingopfer gerne aufnehmen, weil sie befürchten, dass es ähnliche Probleme auch bei ihnen geben könnte… Sozialcourage sieht natürlich anders aus! 

Folglich kann selbst ein „freiwilliger Schulwechsel“ Probleme bereiten und muss notfalls sogar erstritten werden.

Noch schlimmer wird es aber dann, wenn die Schule aufgrund von Gegenvorwürfen schließlich gar die Entlassung von der Schule anordnet, was in der Praxis durchaus vorkommt. Einen möglichst unvoreingenommenen Neuanfang zu erreichen ist dann besonders schwierig, so dass in der Praxis Rechtsstreite mitunter nur aus dem Grunde erfolgen, eine Rehabilitation zu erreichen und den Ruf zu retten – während ein Verbleib an der Schule eigentlich gar nicht mehr bezweckt wird.

Share by: